»Wir gewinnen viele Branchenfremde für uns«
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Mario Freis, Vorstandschef der börsennotierten OVB aus Köln, über den Vorteil der europaweiten Präsenz des Finanzvertriebs, die Suche nach neuen Beratern und die Frage, ob sich die Versicherer als Großaktionäre eigentlich ins Tagesgeschäft einmischen.
Die OVB ist einer der fünf großen Finanzvertriebe in Deutschland. Der börsennotierte Konzern ist aber nicht nur hierzulande, sondern in fast ganz Europa aktiv. Grund genug, einmal mit der Führungsspitze der Gesellschaft über ihr Geschäftsmodell zu reden. An einem sonnigen Maitag hat es geklappt. Ortstermin in der Zentrale der OVB Holding am Heumarkt in Köln, nicht weit entfernt vom Dom. Mario Freis, seit 2016 Vorstandsvorsitzender der OVB, begrüßt in seinem geräumigen Büro mit Blick auf den Rhein.
Herr Freis, die OVB ist seit dem Jahr 2007 auch in der Ukraine aktiv. Welche Auswirkungen hat der russische Einmarsch dort für Sie?
Mario Freis: Wir sind alle sehr betroffen und sorgen uns sehr um die ukrainische Bevölkerung im Allgemeinen und unsere Kollegen und Kunden im Besonderen. Wir stehen im regelmäßigen Austausch mit ihnen und unterstützen sie als OVB-Konzern, indem wir etwa einen Hilfsfonds eingerichtet und zusätzlich eine europaweite Fundraising-Aktion gestartet haben. Damit konnten wir schon vielen Familien helfen. Zudem haben Kollegen aus den Anrainerstaaten Slowakei, Polen, Ungarn und Rumänien Kolleginnen mit ihren Kindern bei sich aufgenommen, sie haben geflüchteten Frauen und deren Kindern Unterkünfte zur Verfügung gestellt oder die Reise in weitere Asylländer finanziert und organisatorisch unterstützt. Wenn die Frage sich auch darauf bezog: Unser Geschäft, das wir dort seit 2007 erfolgreich aufgebaut haben, ist natürlich größtenteils zum Erliegen gekommen.
»Wir bekommen für Fondspolicen keine Vergütung von den Kapitalverwaltungsgesellschaften.« Mario Freis, OVB
Kommen wir zu den Gründen für Ihr Engagement in Ländern wie der Ukraine. Die OVB startete 1970 als einer der ersten Finanzvertriebe Deutschlands. Warum haben Sie begonnen, in andere europäische Staaten zu expandieren?
Wir waren einer der Pioniere der Allfinanzberatung in Deutschland. Und dieser Pioniergeist ist über die 52-jährige Unternehmensgeschichte nie erloschen. Nach dem Fall der Mauer und der Öffnung der Länder Mittel- und Osteuropas nach Westen Anfang der 1990er haben die damaligen Eigentümer eine europäische Strategie geprüft, für sinnvoll erachtet und im Gegensatz zu anderen auch konsequent umgesetzt.1992 wurde die OVB Österreich als erste Landesgesellschaft außerhalb Deutschlands gegründet, die Geburtsstunde der OVB Europa. Dort feiern wird dieses Jahr unser 30-jähriges Jubiläum! Wir sahen schon damals das enorme Potenzial für die Allfinanzberatung in anderen Ländern, vor allem in jenen, die der Entwicklung in Deutschland erst noch folgen werden.Damals hat sich sicher der eine oder andere Marktteilnehmer erstaunt gefragt, was wir da machen. Und nach 30 Jahren kann ich sagen: Das war die richtige Entscheidung! Die OVB ist mittlerweile in 15 europäischen Ländern vertreten, und bald kommen noch mehr dazu.
»Für die Fondspolice spricht, dass sie die Absicherung des Langlebigkeitsrisikos mit den Renditechancen am Kapitalmarkt verbindet.« Mario Freis, OVB
Welchen Vorteil hat es, als Finanzvertrieb europaweit tätig zu sein? Schließlich unterscheidet sich die Regulierung zumindest im Detail erheblich. Wo lassen sich Synergien erzeugen?
In regulatorischer Hinsicht ist es tatsächlich eine große Herausforderung. Hier gab es in den vergangenen Jahren zwar viele Fortschritte bei der Harmonisierung, aber von einem einheitlichen Rechtsrahmen sind wir weit entfernt. Dennoch hat eine europaweite Aufstellung Vorteile. Sie macht uns nicht abhängig von einem Markt. Die negative Entwicklung in einem Land kann durch die gute Performance in anderen ausgeglichen werden. Wir haben eine gute Mischung aus reiferen Märkten wie Deutschland und Österreich sowie aus Märkten mit großem Entwicklungspotenzial. Die Länder in Süd- und Westeuropa und vor allem in Zentral- und Osteuropa haben sich seit Beginn der 1990er-Jahre wirtschaftlich sehr stark entwickelt, was sich in steigenden Einkommen niederschlägt. Damit steigt auch der Bedarf, Risiken abzusichern und finanzielle Vorsorge zu betreiben. Die Durchdringung mit Finanz- und Versicherungsprodukten liegt dort noch deutlich unter dem EU-Schnitt. Ferner ist die internationale Aufstellung eine große Chance für unsere selbstständigen Finanzvermittler und damit ein großer „Unique Selling Point“ (USP) für die OVB.
Das müssen Sie erklären!
Wir fördern die internationalen Karrieren unserer Vermittler. Wenn einer die Chance sieht, in ein anderes Land zu expandieren, unterstützen wir das. Das geschieht in der Regel nicht am Anfang einer Beraterkar - riere, sondern erst nach einigen Jahren Unternehmenszugehörigkeit. Nach 52 Jahren OVB-Geschichte gibt es dafür unzählige Beispiele. Wir haben viele international tätige Vertriebsführungskräfte, die aus unterschiedlichsten Gründen ein Netzwerk in einem anderen Land haben und dieses nutzen, um auch dort tätig zu sein. Dabei können sie auf unsere Unterstützung wie den Zugang zu Produktgebern in diesen Ländern, Hilfe bei der Schulung für die entsprechenden Lizenzen und die IT bauen. Schließlich profitieren die Vermittler vom Erfahrungsaustausch mit anderen international tätigen Beratern. Vertrieb ist international, man lernt von anderen.
Was die Zahl der Kunden und die Provisionserlöse angeht, hat die OVB als Ganzes auf Sicht von zehn Jahren stark zugelegt – die Zahl der Berater ist allerdings kaum gestiegen. Sprich: Die Berater sind pro - duktiver geworden, vor allem in Mittel- und Osteuropa. Woran liegt das?
Als „First Mover“ in der Region Mittelund Osteuropa haben wir es geschafft, professionelle Organisationen mit unternehmerisch denkenden Führungskräften aufzubauen. Den Hauptgrund hatte ich schon erwähnt: Wir sind parallel zur wirtschaftlichen Entwicklung und aufgrund einer steigenden Produktdurchdringung pro Kunde gewachsen. Je nach Lebens- und Berufssituation entsteht weiterer Bedarf. Wir generieren einen Teil des Neugeschäfts auch aus den Beständen. Daneben, und darauf lege ich Wert, gewinnen wir Neukunden, gerade unter jungen Menschen.
Wie schaffen Sie das?
Wir haben in unserer Organisation eine schöne Mischung aus langjährig erfahrenen Finanzvermittlern und Nachwuchsberatern, die einen Draht zu den jüngeren Generationen haben. Wir schaffen es sehr gut, junge Menschen für die Tätigkeit als selbstständige Vermittler zu gewinnen.
»Wir fördern die internationalen Karrieren unserer Vermittler. Wenn einer die Chance sieht, in ein anderes Land zu expandieren, unterstützen wir das.« Mario Freis, OVB
Wie rekrutieren Sie neue Vermittler? Wen suchen Sie?
Neue Berater werden in erster Linie durch direkte Kontakte und Empfehlungen der bestehenden Kollegen auf uns aufmerksam. Dazu kommen Social Media und eine Reihe anderer Kanäle. Wir fokussieren nicht auf Finanzprofis wie etwa Bankberater oder Versicherungskaufleute, sondern sind sehr gut darin, Branchenfremde für uns zu gewinnen. Jeder, der Interesse an unserer Dienstleistung hat und unternehmerisch denkt, ist willkommen. Der größte Teil der neuen Berater ist zwischen 25 und 35 Jahre
alt. Mitunter stößt auch jemand jenseits der 40 zu uns, der sich ein zweites Standbein aufbauen möchte. Wir haben international nicht nur hauptberufliche Berater, sondern auch einige, die im Zweitberuf für uns tätig sind. Alle müssen neben einem guten Leumund vor allem Lernbereitschaft mitbringen. Für das fachliche Know-how sorgen wir. In Deutschland muss jeder die Sachkundeprüfung ablegen, um als Versicherungsvermittler gemäß Paragraf 34d Gewerbeordnung arbeiten zu können. Wer länger an Bord ist, hat die Möglichkeit, auch die 34f-Erlaubnis als Finanzanlagenvermittler zu erwerben.
Allerdings ist die Zahl der Vermittler in Deutschland auf Sicht von zehn Jahren um sechs Prozent gesunken – und damit übrigens auch die Summe der Provisionseinnahmen. Was ist der Grund?
Im Zehnjahresvergleich stimmt das. Wir haben mit unserer Unternehmensstrategie „OVB Evolution 2022“ darauf reagiert und die Grundlagen für weiteres Wachstum gelegt. Das dokumentiert die Geschäftsentwicklung der OVB Deutschland im vergangenen Jahr mit über fünf Prozent Umsatzwachstum.
Wie steht es um die Fluktuation in der Beraterschaft?
Die ehrliche Antwort darauf ist, dass es diese in der Anfangsphase gibt. Wir gehen damit sehr offen um und motivieren Interessierte, die Ausbildungsphase bei der OVB zu nutzen, um erkennen zu können, ob einem die Branche liegt. Bei denjenigen, die diese Phase erfolgreich gemeistert haben, ist die Fluktuation sehr gering, vor allem auf der Ebene der Führungskräfte.
Wie sieht Ihre Organisationsstruktur aus? Soweit ich weiß, arbeiten Sie mit einem mehrstufigen Modell, bei dem die einzelnen Vermittler einem Teamleiter und darüber anderen Führungskräften zugeordnet sind, die einen Teil der von den Beratern verdienten Provisionen erhalten.
Das stimmt, die OVB hat ein mehrstufiges Vertriebs- und Vergütungsmodell. Das haben andere Vertriebsgesellschaften auch, wir sind keine Ausnahme in der Branche und stehen auch zur provisionsbasierten Beratung. Wir sind davon überzeugt, dass nur diese breiten Bevölkerungsschichten den Zugang zu einer qualifizierten Beratung ermöglicht. Das gelingt mit einer Honorarberatung nicht.
Wo liegt Ihr Fokus bei den Produkten und der Beratung?
Die OVB hat seit Beginn das Ziel, eine qualitativ hochwertige und themenübergreifende Beratung zu bieten – Stichwort Allfinanz. Wir setzen daher auf einen dreistufigen Prozess. Zuerst erfragen wir die Wünsche und Ziele des Kunden, dann nehmen wir den Bestand auf und werten diesen aus. Erst beim Zweittermin erfolgt die Produktberatung. Unser Allfinanzproduktportfolio bietet dafür die Basis.
Was heißt das konkret für Deutschland?
Unser Produktportfolio besteht zu annähernd 40 Prozent aus Produkten, die an Sachwerten orientiert sind. 25,4 Prozent entfallen auf fondsgebundene Rentenversicherungen, 14,4 Prozent auf direkte Fondsinvestments. In beiden Bereichen bauen wir derzeit den Anteil nachhaltiger Fonds sukzessive aus. Ferner gewinnen Produkte zur Absicherung biometrischer Risiken an Bedeutung, also Berufsunfähigkeits-, Dread- Disease- oder auch Risikolebensversicherungen. Immobilienfinanzierungen sind seit Jahren ein Wachstumstreiber. Hinzu kommt natürlich das klassische Sachversicherungsgeschäft mit Haus- und Gebäudepolicen. Die Hochwasserkatastrophe sowie die starken Waldbrände in einigen Ländern Europas im vergangenen Jahr haben gezeigt, wie wichtig es ist, die Risiken der Kunden abzusichern.
»Wir haben international nicht nur hauptberufliche Berater, sondern auch einige, die im Zweitberuf für uns tätig sind.« Mario Freis, OVB
Warum der Fokus auf Fondspolicen? Manche meinen, diese würden wegen der recht hohen Provision so gern vertrieben. Zudem kritisierte die Finanzaufsicht Bafin kürzlich, dass einige Kapitalverwaltungsgesellschaften den Vermittlern für Fondspolicen eine Extravergütung zahlen – zusätzlich zu den Provisionen, die von den Versicherungsunternehmen fließen. Wie ist das in Ihrem Haus?
Grundsätzlich gilt: Gute Beratung braucht eine angemessene Entlohnung. Für die fondsgebundene Rentenversicherung spricht vor allem, dass sie die Absicherung des Langlebigkeitsrisikos am besten mit den Renditechancen am Kapitalmarkt verbindet. Und zum zweiten Punkt: Wir bekommen für Fondspolicen keine Vergütung von den Kapitalverwaltungsgesellschaften, sondern die normalen Abschluss-und Bestandspflegeprovisionen von Versicherungsunternehmen.
Zum Schluss ein anderer Punkt: Die OVB gehört seit vielen Jahren mehrheitlich drei Versicherern: Die Signal Iduna hält knapp 53 Prozent der Aktien, die Basler zirka 32 Prozent und die Generali rund 11,5 Prozent. Welches strategische Ziel verfolgen die Versicherer mit ihrer Beteiligung?
Die Frage müssten Sie den drei Gesellschaften stellen. Aber ich denke, dass die OVB aus Aktionärssicht interessant ist, weil wir eine ordentliche und auf Kontinuität ausgerichtete Dividende zahlen. Zudem sind alle drei Versicherer auch internationale Partner von uns, nicht nur in Deutschland. Da ergibt es sicher Sinn, eine strategische Beteiligung an der OVB zu haben.
Mischen sich diese Anteilseigner ins Tagesgeschäft ein? Ist es etwa erwünscht oder gefordert, bevorzugt Produkte dieser Versicherer zu vertreiben?
Nein. Unsere Anteilseigener mischen sich selbstverständlich nicht in das Tagesgeschäft ein. Das wäre schon aktienrechtlich nicht zulässig. Aus der Sicht der OVB als selbstständiger Finanzvertrieb ist es aber gut, dass neben Privataktionären drei namhafte Versicherer Anteile halten und nicht nur eine Gesellschaft oder sogar eine Privatperson. Dies gibt eine Sicherheit und Stabilität, die auch von unseren Finanzvermittlerinnen und Finanzvermittlern europaweit geschätzt wird.
Vielen Dank für das Gespräch.
JENS BREDENBALS
KURZ-VITA: Mario Freis
Freis, Jahrgang 1975, schloss sich der OVB 1995 direkt nach dem Abitur an. Nach der Ausbildung zum Versicherungskaufmann startete er im Controlling der OVB. Nachdem er verschiedene Führungspositionen bekleidet hatte, wurde er 2010 in den Vorstand der OVB Holding berufen, zuständig für den Vertrieb. Seit 2016 ist er Vorstandsvorsitzender.